A. Kurahashi: My Father’s Dying Wish

Titel
My Father’s Dying Wish. Legacies of War Guilt in a Japanese Family


Autor(en)
Kurahashi, Ayako
Erschienen
Sheffield 2009: Paulownia Press
Anzahl Seiten
110 S.
Preis
£ 12,95
Rezensiert für Connections. A Journal for Historians and Area Specialists von
Lukasz Zablonski, Graduiertenschule für Internationale Medien, Kommunikation und Tourismus, Universität Hokkaido

Ähnlich wie in Deutschland gehört die Auseinandersetzung mit den historischen und politischen Vermächtnissen des Zweiten Weltkrieges auch in Japan immer noch zu den aktuellen Debatten. Obwohl man im Westen den Eindruck gewinnen könnte, dass die Japaner an einer historischen Amnesie leiden, findet eine kritische Vergangenheitsbewältigung (auf japanisch kako no kokufuku) dortzulande in der Tat und zuallererst im Privaten statt. An diesem eher holprigen als reibungslosen Prozess, der durch die Traumata sowohl der Opfer als auch der Täter gekennzeichnet ist, nehmen vor allem zahlreiche Intellektuelle, zivilgesellschaftliche Organisationen und Gruppen, einzelne Bürger, aber auch einige Politiker teil. Eine sehr wichtige Rolle spielen dabei auch die Medien.

Ayako Kurahashis autobiographisches Buch „My Father’s Dying Wish. Legacies of War Guilt in a Japanese Family“ 1, das von dem in Japan lebenden Historiker Philip Seaton ins Englische übertragen und mit erklärenden Fußnoten versehen wurde, verschafft einen interessanten Einblick in die Art und Weise wie man in Japan (und Ostasien) mit einer „bitteren Vergangenheit“ mehr als 60 Jahre nach dem Krieg umgeht. Es führt drei Elemente zusammen: einen persönlichen Ausschnitt aus Kurahashis Familiengeschichte, eine bündige Beschreibung ihrer Aktivitäten als Schriftstellerin und Friedensaktivistin und eine verallgemeinerte Schilderung der zentralen Kontroversen in Bezug auf die Beurteilung des Pazifikkrieges in Japan. Diese Konstruktion des Buches erlaubt es der Autorin die aktuelle Problematik des Zweiten Weltkriegs sowohl von einer individuellen Perspektive aus zu thematisieren als auch kritisch zu diskutieren. Den Lesern und Leserinnen bietet sie eine interessante Mischung unterschiedlicher Elemente: die bewegende Geschichte einer japanischen Familie, die den Krieg quer durch die Generationen verarbeitet, sowie einen informativen Insider-Kommentar zu den Zusammenhängen zwischen der Kriegsvergangenheit und den heutigen gesellschaftlich-politischen Problemen in Japan.

Das Leitmotiv des Buches bildet eine persönliche Odyssee, die die Autorin nach dem Tod ihres Vaters unternimmt, um seinen merkwürdigen Wunsch zu erfüllen: Sie solle auf seinem Grabstein eine Bitte um Entschuldigung an die Menschen von China gravieren lassen und zwar für sein Handeln während des Angriffskrieges (shinryaku sensō) und der Okkupation (1931-45) in China. Als Soldat und Militärpolizist (kempei) der Kaiserlichen Imperialen Armee war Kurahashis Vater mehr als zwölf Jahre im Dienst, davon etwa zehn in verschieden Provinzen und Orten Chinas. Die Bitte des Vaters, der nie über seine Kriegserfahrungen erzählt hatte, nicht einmal im Familienkreis, schockierte die Tochter zwar, führte sie aber gegen den Widerstand der Familie zu einer langen Suche nach seinen Motiven für jene Botschaft auf seiner Grabtafel. Schließlich gelang es ihr, mittels eines Kompromisses ein Schild mit der gewünschten Inschrift neben der Familienkrypta aufzurichten und auf der Grundlage eingehender Nachforschungen – einschließlich mehrerer Reisen nach China – auch einige Details über die militärischen Handlungen des Vaters zu enthüllen. Ihre Bemühungen fanden Verständnis unter ehemaligen Opfern. Ein anderer Gewinn dieser persönlicher Auseinandersetzung mit der Familien- und Landesgeschichte war die Begegnung mit vielen Menschen in Japan und China, deren Einsichten in die Kriegszeit ihre eigene Selbsterkenntnis als Mitglied der japanischen Nachkriegsgeneration vertieften und zum Engagement in verschiedenen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten führten.

Kurahashi veröffentlicht ansonsten belletristische Bücher, die von der Lebensgeschichte ihres Vaters inspiriert sind und den Krieg sowie seine Konsequenzen für die japanische Gesellschaft problematisieren. In „My Father’s Dying Wish” reflektiert sie über eine Reihe von Problemen: die individuelle und kollektive Kriegsverantwortung der Japaner heute; die von China und Korea immer noch erhobenen Aufrufe zu Abbitte und Wiedergutmachung; die japanische Opferidentität, die sie mit Täterschaftsbezeugungen von den in China eingesetzten japanischen Soldaten, konfrontiert;2 und schließlich das „historische Bewusstsein” (rekishi ninshiki) der Japaner im 21. Jahrhundert. Das Buch behandelt deswegen auch Problemkomplexe wie Schuld, Reue und Sühne, die als wichtige Komponenten und Voraussetzungen für historische Versöhnungsarbeit gelten, und platziert sie im japanischen Kontext. Die Autorin verdeutlicht ihre Argumente durch zahlreiche Beispiele aus der populären Kultur und dem zeitgenössischen politischen Diskurs. Sie vertritt die Meinung (und setzt sich aktiv dafür ein), dass die Dokumentation japanischer Kriegstäterschaft von den kommenden Generationen fortgesetzt werden müsse, damit sichergestellt werden könne, dass Japan (und alle anderen Staaten) nie wieder einen Krieg auslösen wird. Die starke antimilitaristische und pazifische Aussage des Buches geht mit dem Aufruf zur eingehenden und konstanten Erinnerungsarbeit in Japan einher (S.90).

Die im Buch präsentierten Stellungnahmen zur Vergangenheitsbewältigung in Japan sympathisieren mit den Postulaten der so genannten progressiven Politiker, Historiker, Aktivisten und Politiker. Diese tendieren dazu, die Grausamkeit japanischer Kriegsverbrechen in China und anderen Ländern Asiens (zu Recht) hervorzuheben, minimalisieren dabei aber die einheimischen Anstrengungen, mit den Kriegsvermächtnissen umzugehen, oder diskreditieren diese sogar. Eine solche Herangehensweise an historische Probleme steht im Gegensatz zu der so genannten liberalen (oder freien) Geschichtsanschauung (jiyūshugi shikan), die für eine nationalistischere Repräsentation der japanischen Vergangenheit plädiert. Während diese Kategorisierungen vom Übersetzer angedeutet werden, wünschte man sich bisweilen eine ausführlichere und systematischere Erläuterung über die Anliegen und Motivationen beider Seiten. Bei der Lektüre sollte man immerhin im Hinterkopf behalten, dass die Verarbeitung der Kriegsgeschichte in Japan (und wohl auch in anderen Ländern) eine Mischung aus Ideologie und Pragmatismus darstellt. Zudem wenden in vielen Fällen die Teilnehmer der historischen Debatten unterschiedliche Strategien an, um ihre Postulate durchzusetzen und die regierende Elite – die Entscheidungsträger in der Erinnerungspolitik – zum gewünschten politischen Handeln zu bringen.

Wenn Kurahashis Buch auch kein wissenschaftliches Werk im engen Sinne ist, so empfiehlt es sich doch für Akademiker und Nichtakademiker, die sich mit europäischen Problemen des Umgangs mit Vergangenheit nach dem Zweiten Weltkrieg (sowie in anderen Konflikten oder Diktaturen) beschäftigen. Dies vor allem, weil es wichtige, aktuelle und kontextübergreifende Fragen betreffs der Erinnerungskulturen in modernen Gesellschaften stellt. Überdies soll hervorgehoben werden, dass der Band ein Beispiel für eine Vergangenheitsarbeit darstellt, die von unten nach oben ('bottom up') arbeitet. Solche Versuche erfahren in der Literatur zumeist weniger Aufmerksamkeit als die entsprechenden Anstrengungen der Regierungen. Auch Japan- oder Ostasienspezialisten sollten dieses kleine aber beachtliche Buch nicht übersehen. Die englische Übertragung beinhaltet außer Fußnoten einige erklärende Texte, die besonders für die Leser ohne fachliches Vorwissen über Japan und den pazifischen Schauplatz des Zweiten Weltkrieges behilflich sein können: eine kurze Einleitung des Übersetzers, ein Schlüsselbegriffeglossar und eine chronologisch-vergleichende Synopse der Vita der Autorin sowie der wichtigsten Ereignisse in der modernen Geschichte Japans. Zusätzlich enthalten ist ein Vorwort des japanischen Sozialpsychologen Masaaki Noda, der als Student Jaspers' in seinen Werken die berühmten Schuldfragen auf die japanische Gesellschaft und deren Verhältnisse bezogen hat.3

Anmerkungen:
1 Japanische Originalausgabe: Ayako Kurahashi, Kenpei datta chichi no nokoshita mono (Was mein Vater mir hinterlassen hat), Tokio 2002.
2 Zahlreiche japanische Veteranen gestanden in der Öffentlichkeit ihre Kriegsverbrechen ein (inklusive der Erschießung von Zivilisten und Vergewaltigungen von einheimischen Frauen) und gaben ihre individuelle Schuld zu. Siehe dazu Petra Buchholz, Krieg und Kriegsverbrechen in Japanischen Eigengeschichten, in: Christoph Cornelißen / Lutz Klinkhammer / Wolfgang Schentker (Hrsg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt am Main 2004, S. 299-314.
3 Masaaki Noda, Sensō to Zaiseki (Krieg und Schuld), Tokio 2009.

Redaktion
Veröffentlicht am
07.01.2011
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension